Vom Mathematik-Doktor zum Bratwurst-Millionär

Thüringer Bratwurst ist auch im fernen Vietnam ein Renner. Eine deutsch-vietnamesische Firma sorgt dort dafür, dass die gegrillte Spezialität nicht ausgeht. Seit 2001 werden die Rostbratwürste im neuen Betriebsgebäude in der vietnamesischen Provinz Hung Yen nach deutschen Standards produziert. 250 Vietnamesen haben dort derzeit einen Job gefunden.

Nein, deutsch spreche sie nicht. Die Kellnerin schüttelt den Kopf, aber sie lächelt. Das tun Asiaten fast immer - auch in ausweglosen Situationen. Wer im Restaurant am Goethe-Institut in der vietnamesischen Hauptstadt Hanoi die Gäste bedient, muss nicht zwangsläufig Goethes Muttersprache können. Ein deutsches Wort kennt die junge Frau dennoch: "Bratwurst".

Wenig später serviert sie davon gleich mehrere Exemplare. Klassisch, wie es Deutsche mögen - mit Kartoffelsalat und Senf. Mittlerweile ist das Nationalgericht der Thüringer auf der Speisekarte im Restaurant in der Nguyen-Tai-Hoc-Straße eine feste Größe.

Und nicht nur da. Die Vietnamesen sind auf den Bratwurst-Geschmack gekommen. Sie lieben die Gegrillten fast genau so sehr wie ihre einheimischen Leibspeisen. Die Rede ist von "Pho Ga" oder "Pho Bo", einer würzigen Reisnudel-Suppe mit Hühnchen- oder Rindfleisch, die sie zu jeder Tageszeit in sich hinein schlürfen. 

Von Hanoi aus haben die Roster ihren Triumphzug durchs Land angetreten. Vielerorts brutzeln sie auf dem Grill - auch auf dem Abendmarkt in Hanois Altstadt. Allerdings gibt es sie dort am Stäbchen - typisch asiatisch eben. Doch sie sind kleiner, wegen des warmen Klimas vorgebrüht und weniger gesalzen. Der vietnamesische Gaumen mag's fader als der deutsche. Ansonsten schmecken sie wie das Original - die Thüringer Rostbratwurst.

Wen wundert's? Die Rezeptur stammt schließlich aus Thüringen. Aber das ist bei weitem nicht der einzige Bezug, der sich zu Goethes Heimat finden lässt. Auch der Senf, der zur Wurst gereicht wird, hat Thüringer Schärfe. Das Rezept ist von Born, dem Erfurter Feinkost-Unternehmen.

Zwei Männer gelten als die Geburtshelfer der Grillwurst a la Vietnam: der Erfurter Michael Campioni und der Vietnamese Mai Huy Tan. Zehn Jahre ist es her, dass beide nach einer zündenden Geschäftsidee suchten. Die sozialistische Republik in Indochina hatte sich gerade von der Planwirtschaft verabschiedet und "Doi Moi" ins Leben gerufen - eine Wirtschaftsreform, die das Land umkrempeln sollte. Heute sitzt Mai Huy Tan, ein charmanter Endfünfziger in seinem Büro in Hanois Zentrum. Schlicht nimmt sich das Gebäude aus, vergleicht man's mit den verglasten Hochhaus-Türmen, die überall in den Boom-Städten des Landes aus dem Boden wachsen. Der Vorzeige-Unternehmer nippt am grünen Tee und erinnert sich. In fließendem Deutsch erzählt er, wie er zur Thüringer Bratwurst kam.

Tan studierte zu DDR-Zeiten in Halle. Nicht etwa Ernährungswissenschaften, sondern Wirtschaftsmathematik. Als Student machte er seine erste Bekanntschaft mit der legendären Bratwurst. Er promovierte und kehrte in seine Heimat zurück. Inzwischen war Vietnam dabei, sein Gesicht zu verändern. Im Auftrag der Regierung beschäftigte er sich mit Marketing und Marktwirtschaft, beriet Deutsche, die investieren wollten. Darunter auch Thüringer Firmen: Petkus zum Beispiel oder die Fahrzeugelektrik GmbH FER. Tan vertrieb Fahrradlampen und Hupen. Der couragierte Manager lächelt. Das Hup-Konzert tausender Mopeds, die Rad an Rad täglich über Hanois Straßen rollen, dringt bis in sein Büro: "Ein bisschen geht dieser Lärm auch auf mein Konto."

Eines schönen Tages traf er auf den Erfurter Michael Campioni, einen Fensterbauer. Beide spannen Ideen. Zu guter Letzt kamen sie auf die Thüringer Bratwurst. "Gegessen wird immer", sagt Tan. Viele Vietnamesen haben in Deutschland studiert und gearbeitet. "Sie haben die fremde Esskultur schätzen gelernt", ist Tan überzeugt. "Doch Wurst aus Thüringen per Flugzeug zu uns zu bringen, wäre zu teuer gewesen. Das Stück für drei Dollar, das hätten die Vietnamesen nicht akzeptiert. Für 30 Cent, das ist erschwinglich."

Also packten der Vietnamese und der Thüringer das Glück und damit die Wurst beim Zipfel. Tan kümmerte sich in Hanoi um die Logistik, das Grundstück, die Halle und den Strom. Campioni sorgte in Erfurt für Maschinen und das Know-how. "Wir hatten vom Wurstmachen keine Ahnung", blickt Tan zurück. "Dafür hatte Campionis Bekannter Ahnung." Er war Fleischer und dazu Thüringer, half mit der Rezeptur und vor Ort. Er schulte die vietnamesischen Mitarbeiter. "Begonnen haben wir mit sieben Leuten", berichtet Tan. Dann kam der erste Container voller Maschinen an. "Einige stammten noch aus der Bismarck-Zeit", erzählt der Unternehmer. "Wir arbeiteten 24 Stunden am Tag. Acht Wochen später bissen Campioni und ich in die erste Bratwurst aus eigener Produktion."

Jetzt steht vor den Toren Hanois, in der Provinz Hung Yen ein neuer Betrieb des deutsch-vietnamesischen Unternehmens "Duc Viet". Ein Schriftzug, der auf allen Produkten prangt. "Duc" heißt "deutsch" und "viet" "vietnamesisch". Das Joint Venture beliefert mittlerweile landesweit Supermärkte, Ferienresorts, die Fluggesellschaft Vietnam Airlines, Armee und Polizei, Biergärten und Schulen.

Es war ein schweres Stück Arbeit. Denn an jeder Straßenecke dampft es in Vietnam in einer anderen Garküche. Reis wird verkauft, Fisch, gedünstetes Gemüse... Trotz allem: die fremdartige Wurst wurde zum Gaumenschmaus. "Wir haben in den Biergärten Grills eingerichtet, selbst gebrutzelt, die Kunden probieren lassen und Würstchen an die Schulkinder verschenkt", erzählt der promovierte Mathematiker.

Und seine Rechnung ging auf. 100 Millionen Griller stellen Tan und seine Wurstmacher inzwischen jährlich her. Auch Kochsalami, Bockwurst, Wiener, Leberkäse oder geräucherte Filets verlassen in zwei Schichten vakuumverpackt den Betrieb. "20 verschiedene Sorten sind im Angebot. Alles hergestellt nach deutschen Standards, geprüft vom TüV Rheinland." Dass die Qualität stimmt und die Hygienevorschriften eingehalten werden, ist Tan sehr wichtig. In diesem Punkt kann der lächelnde Chef sehr energisch sein. Der Generaldirektor fühlt sich für seine 250 Mitarbeiter verantwortlich. Fachpersonal ist im Land rar. In Vietnam gibt es keine mit Deutschland vergleichbare Ausbildung. Die Firma hat deshalb die Qualifizierung ihrer Leute selbst übernommen. Unterstützung geben der Deutsche Entwicklungsdienst (DED) und die Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft (DEG). Und mindestens einmal im Jahr wird der Fleischmeister aus Thüringen eingeflogen, in dessen Urlaub. Doch Tans Wurst-Träume sind noch lange nicht ausgeträumt. Der Mann, dessen Name unter Vietnams Managern etwas gilt, will die Erfolgsstory von "Duc Viet" fortschreiben. Drei Millionen Euro stecken schon im Betrieb mit eigener Schlachtung, Zerlegung und Fleischverarbeitung.

Eine von Tans Visionen ist der Aufbau einer Zuchtfarm für 6000 Sauen und 140 000 Schweine. Aber die machen viel Mist. Deshalb plant der Geschäftsmann eine Biogasanlage, die den schweinischen Abfall in Energie fürs Unternehmen verwandeln soll. Bisher ist so etwas in Vietnam die Ausnahme. Wohl auch deshalb hat Tan als Partner eine deutsche Firma angeheuert.

Ebenso setzt der Chef darauf, dass die globale Idee vor den Wursttheken nicht halt macht. So hofft er, dass nach dem Klassenschlager Bratwurst auch ungarische Salami in Vietnam ein Renner wird. Kontakte zu Fachleuten aus Ungarn hat er bereits geknüpft.

Längst braten die Vietnamesen nicht mehr ihre Extra-Wurst. "Duc Viet" ist international: Rezepte und Maschinen kommen aus Deutschland, der Naturdarm aus China, Schweine aus Thailand und die Kühl-Lkw, die die Wurst zum Kunden fahren, sind aus Korea.

Indessen ist die Thüringer Bratwurst in Asien auf dem Vormarsch. Tan will sie nach Japan exportieren. Positives Echo hat er von einer Messe mitgebracht: "Die Japaner finden sie köstlich." Seinen Landsleuten wird er dann mehr Jobs bieten können - 1000 sollen es bis 2015 sein.

An der Wand in Tans Büro hängen zwei Landkarten: eine von Vietnam, die andere von Deutschland. Der promovierte Wirtschaftsmathematiker und Bratwurst-Millionär ist eben nicht nur Vietnamese, er fühlt sich als Weltbürger. Vor ihm liegt ein Buch. Er hat es selbst herausgegeben. Der Musikliebhaber Tan hat darin deutsche Volks- und Kunstlieder gesammelt. Ihre Texte hat er mit einem Team vom Deutschen ins Vietnamesische übersetzt. Unterschiedliche Kulturen will er zusammenführen. Ein Mann, der vietnamesische Reisnudeln ebenso sehr mag wie Thüringer Rostbratwurst

(Source: Freies Wort 22.05.10)

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