Vietnam fasziniert viele ausländische Investoren

Gemessen am Innovationspotential steht das kommunistische Land auf einer Stufe mit China. 250 deutsche Unternehmen sind schon dort.Das kommunistische Vietnam erlebt einen gewaltigen wirtschaftlichen Aufschwung. Das Land setzt zunehmend auf moderne, innovative Technologien. Deutsche Firmen haben das erkannt und bauen ihr Engagement in Vietnam aus.

Die Rettung kam mit Gerhard Schröder: Kurz bevor der damalige Bundeskanzler 2004 ein neues Van-Laack-Werk in Hanoi besuchte, war der deutsche Hemdenhersteller vor Ort in eine schwierige Situation geraten.
Ein ranghoher vietnamesischer Beamter hatte unmissverständlich durchblicken lassen, dass nun auch mal eine Zahlung außer der Reihe angebracht sei. Für einen deutschen Investor eine Situation, in der er eigentlich nur verlieren kann: Auslandskorruption ist aus deutscher Sicht rechtlich schon lange kein steuerbegünstigtes Kavaliersdelikt mehr - aber ohne Schmiergeld stößt man in vielen Ländern schnell an seine Grenzen.
 
Schröders Besuch brachte Unternehmenschef Christian von Daniels auf eine geschmeidige Idee, wie er vermeintlich auf die Forderung des Provinzfürsten eingehen, tatsächlich aber sauber bleiben konnte: "Wir arrangierten die öffentliche Übergabe eines Schecks in Höhe von 70 000 Dollar für einen Kindergarten - in Gegenwart Schröders", sagt von Daniels zufrieden. So landete das Geld nicht in den Taschen einiger weniger, sondern da, wo es gebraucht wurde, und das auch noch legal. Und der Beamte, der die Hand aufgehalten hatte, traute sich angesichts des hohen Staatsbesuchs nicht mehr, weitere Forderungen zu stellen.
 
Die Korruption hat fast ganz Südostasien nach wie vor im Griff. Vietnam bildet da keine Ausnahme. Das Land, das sich offiziell kommunistisch nennt, de facto aber einen eigentümlichen Ein-Parteien-Kapitalismus mit florierendem Kleinunternehmertum pflegt, belegt im aktuellen Korruptionsindex von Transparency International einen unrühmlichen Platz 116 - gleichauf mit Ländern wie Äthiopien oder Mali. Auf ausländische Investoren übt das Land dennoch eine große Faszination aus. Sie sehen ein enormes Potenzial. "Die Investitionsbedingungen für europäische Unternehmen in Vietnam entsprechen ungefähr denen in China", ist Martin Wittig, Chef der Strategieberatung Roland Berger, überzeugt.
 
In der Entwicklung hinkt Vietnam dem großen Nachbarn allerdings noch hinterher. "Das Land geht den gleichen Weg wie China, es liegt allerdings noch 15 Jahre zurück", sagt Eugen von Keller, ehemals Präsident der Region Asien bei Roland Berger und heute Chef der Private-Equity-Investmentgesellschaft Xanadu. "China entwickelt selbst und hat dadurch natürlich eine höhere Wertschöpfung. Fabriken in Vietnam bekommen im Wesentlichen Teile, setzen sie zusammen und verschicken sie wieder." Auch deswegen sehen ausländische Unternehmen noch viel Potenzial. "Der vietnamesische Markt hat einen hohen Nachholbedarf in den Bereichen Infrastruktur, Konsumgüter, Chemie, Maschinenbau. Da bieten sich für deutsche Unternehmen viele Chancen", sagt Sabine Hepperle, Leiterin des Referats Asien-Pazifik beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK).
 
Das verheerende Erdbeben in Japan und die Atomkatastrophe von Fukushima verunsichern ausländische Investoren derzeit auch in Vietnam. Gravierende Lieferengpässe habe es allerdings nach Meinung von Experten nicht gegeben. Eine Einschätzung, ob und wie sich die Katastrophe dauerhaft auf die vietnamesische Wirtschaft auswirkt, traut sich allerdings kaum jemand zu. Eine ungewohnte Lage für ein Land, das sonst so stark auf Vorhersehbarkeit baut. Große Teile der vietnamesischen Wirtschaft liegen noch immer in staatlicher Hand. "In manchen Branchen hat der Staat noch sehr großen Einfluss", berichtet Hepperle. Seit bald zwei Jahrzehnten öffnet sich Vietnam allerdings schrittweise in Richtung Marktwirtschaft.
 
Mit Erfolg: Um durchschnittlich rund sieben Prozent pro Jahr wuchs die Wirtschaft in der vergangenen Dekade. Die Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/09 schwächte die Entwicklung nur vorübergehend ab. Und die absolute Armut ist der Weltbank zufolge seit 1993 von 58 auf aktuell zehn Prozent gesunken - auch dank der ausländischen Direktinvestitionen, die seit Jahren rapide wachsen.
 
Trotz des seit Mitte der 80er-Jahre laufenden Erneuerungsprozesses - auf vietnamesisch "Doi Moi" - hat das Land Probleme damit, ein solides Fundament für sein Wachstum zu schaffen. Die volkswirtschaftlichen Kennzahlen lassen bei Investoren zum Teil die Alarmglocken schrillen: Im vergangenen Jahr stieg die Inflationsrate auf zwölf Prozent, das Handelsbilanzdefizit, unter dem Vietnam schon seit Mitte der 90er-Jahre chronisch leidet, weitete sich auf 12,4 Mrd. Dollar aus. Im Februar wertete Vietnams Zentralbank die Landeswährung Dong um 8,5 Prozent ab - bereits die vierte Abwertung seit November 2009. Volkswirt Janis Hübner von der Dekabank hält die Währung dennoch weiterhin für überbewertet.
 
"Aber es ist immerhin eine Bewegung in die richtige Richtung", so der Südostasienexperte. Hübner geht davon aus, dass sich das Niveau der Direktinvestitionen wegen der hohen Wachstumsprognosen halten wird. Auch Roland-Berger-Chef Wittig glaubt an das Land: "Vietnam wird noch eine ganze Zeit konkurrenzfähig bleiben. Alles, was man in China produzieren kann, kann man auch hier produzieren - zu gleichen oder sogar niedrigeren Lohnkosten." Van-Laack-Chef Daniels sieht sogar derzeit überhaupt keine Alternative zu Vietnam. Er schwärmt vom "hohen Leistungsvermögen" der Vietnamesen im Textilsektor: "Alle Nähte und Knöpfe handgemacht - das kriegen nur Vietnamesen in dieser Qualität hin." Die Textilbranche mit ihren großen Wachstumsraten ist der wichtigste Devisenbringer des Landes. Auch die politische Stabilität des Landes überzeugt ausländische Investoren. Das Einparteiensystem, so undemokratisch es auch ist, sorgte in den vergangenen Jahren für ruhige Verhältnisse und damit eine gewisse Berechenbarkeit für Investoren - anders als etwa beim Nachbarn Thailand, der immer wieder unter blutigen Aufständen zu leiden hat. Auch vermeintliche Kleinigkeiten wirken sich aus: Hilfreich ist etwa - besonders für entsandte Arbeitnehmer, die nur ein paar Jahre oder kürzer bleiben wollen - die Schrift: Die lässt sich, anders als in anderen südostasiatischen Ländern, auch von Mitarbeitern aus dem Westen problemlos lesen.
Rund 250 deutsche Unternehmen sind mittlerweile in Vietnam aktiv. Groß investiert hat zum Beispiel der Handelskonzern Metro. Am Rande der drittgrößten Stadt Danang in Zentralvietnam haben die Düsseldorfer einen Cash&Carry-Markt gebaut. Abgesehen von der Sprache auf den Wegweisern und den Aushängen ist auf den ersten Blick alles wie in Deutschland: meterhohe Regale, endlose Gänge, Einlasskontrollen am Eingang. Selbst die lautstarke Beschallung des Parkplatzes ist original deutsch: Aus Lautsprechern plärrt "Cheri cheri Lady" von Dieter Bohlens Modern Talking.
 
Viele andere internationale Händler und auch Restaurantketten sind im Hinblick auf Vietnam allerdings noch zurückhaltend. Die amerikanischen Riesen Wal-Mart und McDonalds inspizieren den für Gastronomiekonzepte und Einzelhändler eher schwierigen Markt genau. Die Straßen in Vietnam sind nach wie vor von kleinen Familienbetrieben geprägt. Internationale Ketten entwickeln sich nur langsam, obwohl das Land den Markt vor wenigen Jahren entsprechend der Vorgaben der Welthandelsorganisation geöffnet hat. Der heimische Einzelhandelsverband macht dafür die dürftige Infrastruktur und fehlendes qualifiziertes Personal verantwortlich. Gut ausgebildete Arbeitskräfte sind tatsächlich Mangelware. Die Vietnamesen punkten durch andere Tugenden: Sie gelten als sehr fleißig und strebsam. Zum Leidwesen ausländischer Unternehmen sind sie allerdings nicht besonders treu. Die durchschnittliche Fluktuation liegt weit über der in Deutschland. Frank Schellenberg, Chef des Outsourcing-Spezialisten GHP mit Sitz in Ho-Chi-Minh-Stadt (ehemals Saigon) glaubt, dass man seinen Angestellten auf Augenhöhe begegnen und sie fair und respektvoll behandeln muss, um sie dauerhaft zu halten. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit - doch viele ausländische Unternehmen beherzigten dies nicht, sagt Schellenberg. 2004 startete er mit 45 Mitarbeitern. Heute wuseln 580 Mitarbeiter in den Callcentern, die Fluktuation ist vergleichsweise niedrig.
 
Schellenberg hat viele gute Erfahrungen in Vietnam gemacht - selbst mit dem Rechtssystem, das viele Investoren schon in die Verzweiflung getrieben hat. Entscheidungen der Justiz gelten als unberechenbar, Ausländer versuchen es daher regelmäßig zu vermeiden, Konflikte mit Geschäftspartnern vor Gericht zu tragen. Schellenberg wollte es nach eigenen Aussagen bereits bei zwei Streitigkeiten auf einen Prozess ankommen lassen und hat damit "überraschend gute" Erfahrungen gemacht. Kurz vor dem Gerichtstermin einigten sich die Unternehmen, die er verklagen wollte, doch noch gütlich mit ihm. "Vielen Ausländern fehlt der Mut, auf ihr Recht zu pochen", sagt Schellenberg. "Aber anders geht es doch nicht voran."
 
(Source: Welt Online, 23.05.2011, Katja Wilke)

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