Brexit: Welche Auswirkungen hat diese Entscheidung auf die südostasiatischen Länder?

Letzten Monat entschied das Vereinigte Königreich als erstes Land in der Geschichte Europas den Staatenbund zu verlassen und sorgte damit weltweit für Panik auf den Märkten. Während Experten sich einig darüber sind, dass das Vereinigte Königreich wohl am meisten unter Brexit zu leiden haben wird, werden auch die südostasiatischen Staaten sich den Auswirkungen Brexits – sowohl positiv als auch negativ – kaum entziehen können. Die EU stellt für die ASEAN-Staaten (Association of Southeast Asian Nations) den zweigrößten Handelspartner dar. Veränderungen im wirtschaftlichen Klima des europäischen Handelsblocks sind daher stets auch für ASEAN von nicht allzu geringer Bedeutung.

Auswirkungen von Land zu Land unterschiedlich

Besonders die Währungsmärkte reagierten infolge des Brexit-Votums schnell und stark. Alle ASEAN-Währungen legten gegenüber dem Pfund deutlich zu. Zweifel über die ökonomische und monetäre Stabilität der EU sorgten zudem für einen höheren Wechselkurs zum Euro. In Sorge um das riskante Investitionsklima zogen Investoren in großem Stil Vermögenswerte aus der Eurozone ab und investierten in risikoarme Ziele wie die USA und Japan. Dies führte zu einer Aufwertung des Dollars gegenüber den ASEAN-Märkten.
Vor allem in Indonesien und Malaysia fürchtet man, dass die temporär höhere Risikosensitivität der Investoren zu einer Kapitalflucht führen könnte. Dies würde beide Länder aufgrund ihrer hohen Abhängigkeit von externer Finanzierung vor erhebliche Schwierigkeiten stellen. Agus Martowardojo, der Gouverneur der Bank of Indonesia, schrieb den Tiefflug der Rupiah nach dem Referendum der Abwendung der Investoren von riskanteren Entwicklungsländer-Assets zu.

Dennoch, betrachtet man ASEANs geringe Handelsintensität mit Großbritannien, scheint die Panik an den Finanzmärkten wenig begründet und nicht dem tatsächlichen Risikoniveau entsprechend.
Einer „worst case“-Szenario-Schätzung des London National Institute of Economic and Social Research zufolge, würde selbst ein Einbruch der britischen Importe um 25% innerhalb der nächsten zwei Jahre in Gesamtasien nur zu einem BIP-Verlust von 0,2% führen. Sollte die gesamte EU-Wirtschaft aufgrund Brexits jedoch in einer Rezession versinken, könnten die Auswirkungen deutlich drastischer ausfallen. In jedem Falle wäre eine passendere Einschätzung angesichts der Heterogenität der ASEAN-Märkte jedoch, dass die Auswirkungen vielfältig sind und je nach Land, Sektor und Zeitspanne deutlich variieren.

Verbraucher profitieren kurzfristig, doch geringere Nachfrage im Export gefährdet das Wachstum

In der nahen Zukunft sollten Verbraucher in ASEAN dank der besseren Währungskurse von billigeren Importen aus dem Vereinigten Königreich und den anderen Euro-Staaten profitieren können. Länder, die enge Handelsbeziehungen mit den USA unterhalten, werden ebenfalls zu den Gewinnern des Brexit zählen. Hier sind insbesondere Indonesien und Malaysia zu nennen.
Dennoch ist Vorsicht geboten. Sowohl Unternehmen als auch Verbraucher in ASEAN werden höhere Kosten für Produkte aus den USA und Japan in Kauf nehmen müssen, was Kosteneinsparungen im Handel mit der EU schlussendlich ausgleichen könnte. Zudem würde sich ein wirtschaftlicher Abschwung in Großbritannien und der EU negativ auf die Exportnachfrage auswirken, da Produkte aus den ASEAN-Staaten wegen des Wertverlusts der europäischen Währungen für Importeure deutlich teurer werden. Der südostasiatischen Exportindustrie drohen somit niedrigere Wachstumsraten und im schlimmsten Fall Jobverluste.
Auch sollte nicht übersehen werden, dass die meisten ausländischen Direktinvestitionen in ASEAN aus der EU stammen. Sollten europäische Firmen angesichts der aktuellen Unsicherheit in ihrem Heimatmarkt Ausgaben streichen, würde dies unweigerlich auch der ASEAN-Markt zu spüren kommen. Vornehmlich Singapur und Vietnam unterhalten enge Handelsbeziehungen mit der EU und sind daher am ehesten gefährdet.

Singapur könnte am stärksten betroffen sein

Die EU ist Singapurs größter Handelspartner für Dienstleistungsexporte, besonders in das Vereinigte Königreich wird ein Großteil der Service exportiert. Mehr als 41 Prozent der singapurischen Dienstleistungsexporte an die EU entfielen 2014 auf Großbritannien. Auch ist Singapur aufgrund der hohen ausländischen Direktinvestitionen des Landes in Großbritannien vom Brexit deutlich eher betroffen als andere ASEAN-Staaten. In Singapur könnte dies zu einer mittelfristigen Periode geringerer Investitionsaktivität führen, da von Brexit betroffene singapurische Firmen auf die Unsicherheit im britischen und europäischen Markt mit Sparmaßnahmen reagieren und sich gegebenenfalls auf die nötige Umstrukturierung ihrer Geschäfte in Europa vorbereiten.
Wirtschaftszweige, die von einem Wirtschaftsabschwung in Großbritannien vorrangig betroffen sein können, sind unter anderem Business Process Outsourcing, IT und andere Dienstleistungsexporte. Singapur könnte jedoch auch davon profitieren. Der Stadtstaat ist für seine hervorragenden Finanzdienstleistungen bekannt und bietet Londons Finanzunternehmen und Investoren einen attraktiven Standort fernab des europäischen Chaos.

Vietnam könnte mittelfristig profitieren

Für Vietnam stellt Großbritannien den zweit größten europäischen Exportmarkt nach Deutschland dar. Das Land importiert vor allem Agrarprodukte, verarbeitete Nahrungsmittel und Bergbauprodukte aus Vietnam. Während Vietnam zunächst unter schwächelnder Nachfrage aus Großbritannien leiden könnte, sieht das Bild langfristig deutlich positiver aus.

Aktuell ist Vietnam das einzige ASEAN-Land neben Singapur, das ein Freihandelsabkommen mit der europäischen Union unterschrieben hat. Die Implementierung des Abkommens könnte das Potential haben, die aufgrund des schwächeren Euros zu erwartenden Kostennachteile der europäischen Investoren auszugleichen. Letztere würden unter dem Freihandelsabkommen von niedrigeren Transaktionskosten und erhöhter Exporteffizient profitieren. Zudem ist zu erwarten, dass Freihandelsverhandlungen der EU mit Thailand, Malaysia und den Philippinen infolge Brexits zunächst weniger Aufmerksamkeit zuteilwerden wird. Umso länger sich die Verhandlung der anderen ASEAN-Staaten mit der EU hinziehen, umso größer wird Vietnams strategischer Vorsprung und somit Vorteil. Die niedrigere Kaufkraft in Großbritannien und der EU wird dazu führen, dass Produzenten zunehmend nach billigeren Beschaffungs- und Produktionsstandorten suchen. Mit seinem großen Pool an Arbeitskräften, gutem Investitionsklima und strategischer Lage bietet Vietnam unumstrittene Vorteile. Vietnams einzigartige Position würde weiter bestärkt, sollte zum Ende des Jahres die Trans-Pacific Partnership mit den USA und 12 angrenzenden Pazifik-Staaten ratifiziert werden. Dies würde in Vietnam angesiedelten Produzenten erlauben, sowohl den europäischen als auch den US-amerikanischen Markt zu präferentiellen Konditionen zu beliefern und somit mögliche Verluste, bedingt durch die schwächere europäische Nachfrage, auszugleichen.

Wachsender intra-ASEAN Handel steigert ökonomische Resilienz

Alle ASEAN Staaten sind außerdem Teil der im Moment verhandelten Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP). Die RCEP zielt darauf ab, die hohe Anzahl sich überschneidender Handelsabkommen in ASEAN zu reduzieren, indem es bestehende Handelsabkommen zwischen ASEAN und Handelspartnern wie Indien und Japan in einem Abkommen konsolidiert und Handelsbeschränkungen weiter abbaut. Bereits seit einigen Jahren macht der Handel mit den RCEP-Staaten bei weitem den größten Anteil des ASEAN-Handels aus, die weitere Integration der RCEP-Märkte dürfte diesen Trend weiter bestärken.

Zwar könnte das Brexit-Debakel den politischen und somit wirtschaftlichen Integrationsprozess der ASEAN verlangsamen, da die erneute EU-Krise viele ASEAN-Mitglieder in ihrer Angst vor zu viel Integration nochmals bestärkt hat.
Dennoch sollte betont werden, dass die wirtschaftliche Integration der ASEAN in den letzten Jahren rasch vorangeschritten ist. Der intra-ASEAN Handel nahm über die letzten 10 Jahre stetig zu und soll sich unter der ASEAN Economic Community, die im Januar dieses Jahrs ins Leben gerufen wurde, weiter intensivieren. Dank des stärkeren regionalen Fokus der letzten Jahre und einem engen Netzwerk an Handelsbeziehungen in der asiatisch-pazifischen Region sind die ASEAN-Staaten gegenüber Volatilitäten auf dem europäischen Markt heute relativ widerstandsfähig.
Es ist davon auszugehen, dass Länder wie Vietnam und Singapur zwar kurzfristig an Wachstum einbüßen, langfristig Wachstum und Verbrauchernachfrage jedoch solide bleiben werden.

BDG Insights

Während die europäischen Märkte erneut in der Krise versinken, bietet die Aufwertung der asiatischen Währungen gegenüber dem Euro Exporteuren eine einzigartige Chance sich strategisch auf den ASEAN Kundenmärkten zu positionieren, und insbesondere gegenüber den unter dem starken Dollar leidenden US-amerikanischen Anbietern Kostenvorteile zu realisieren. Langfristig werden eine Reihe an neuen Handelsabkommen, sowie die aufgrund des stärkeren regionalen Fokus höhere Stabilität der ASEAN-Märkte, ansässigen Produzenten zahlreiche Vorteile bieten, beispielsweise den präferentiellen Marktzugang zu Indien und den USA.

Viele Firmen werden sich in der aktuellen wirtschaftlichen Situation erhöhter Unsicherheit mit Investitionen zurückhalten. Finanziell gut aufgestellte Unternehmen sollten jedoch die Chance ergreifen, die wettbewerbsintensiven ASEAN-Märkte in einer Periode niedriger ausländischer Nachfrage zu erschließen. Hierdurch könnten nicht nur kosteneffiziente Investitionspreise erzielt werden, sondern auch ein „first mover advantage“. Sowohl der starke US-Dollar als auch die zukünftigen Handelsabkommen lassen amerikanischen und asiatischen Unternehmen deutliche Marktvorteile zukommen. Europäische Unternehmen sollten darauf bedacht sein im Spiel um ASEANs 2,4 Billionen USD schwerem Markt nicht als Verlierer hervorzugehen

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